Im Rahmen ihrer ersten großen Akustik-Tour traten die israelischen Pioniere des Middle Eastern Metal gestern, am 15.10.2015, in der Christuskirche in Bochum auf. Mit im Gepäck hatten sie den Stimmgewalt-Chor und die Opera-Metal-Band Molllust. Doch der Reihe nach…
Eröffnet wurde der Konzertabend – lange vor dem angekündigten Beginn um 20 Uhr als noch gar nicht alle Besucher in der Christuskirche eingetrudelt waren – von Poemisia aus Italien, die einen feinen Fix aus Gothic und Symphonic Metal boten. Sängerin Tina Gagliotta überzeugte nicht nur durch ihre hohe Sopranstimme, sondern tanzte auch schaurig-schön und mit allerlei Accessoires wie dunklen Tüchern oder purpurnen Blütenblättern ausgerüstet auf und vor der Bühne, während die übrigen Bandmitglieder emsig ihre Instrumente, darunter auch Violine und Cello, bespielten. Musikalisch stachen die Band und vor allem „La danza degli spiriti“, das letzte gespielte Stück, sehr positiv aus dem teilweise doch etwas weichgespülten symphonischen Einheitsmetal hervor.
Als zweite Vorband waren dann nach einer sehr kurzen Umbaupause Molllust aus Leipzig an der Reihe. Die Opera-Metal-Band um Frontfrau Janika Groß wusste ebenfalls auf Anhieb zu gefallen. Mit ihren abwechslungsreichen Stücken wie „Traumwelt“ oder „Schatten“, bei dem auch Gitarrist Frank Schumacher tiefe Töne beisteuerte, überzeugten Molllust auf ganzer Linie. Mit dem Lied „Vater“ gab die Band einen ironischen Einblick in das Leiden des Musikerdaseins, „Unschuld“ hingegen setzte sich mit der Frage auseinander, wer schuld am Mobbing ist und „Number in a Cage“ kritisierte schließlich das (unnötige) Schreddern von männlichen Küken direkt nach dem Schlüpfen.
Schon früh im Set erklärte Sängerin Janika, die parallel zu ihrem tollen Gesang auch ihr verdecktes Keyboard virtuos bespielte, dass die Band einen Teil ihrer Besetzung für die Akustik-Tour zu Hause gelassen hatte. Zu allem Überfluss hatten sich jedoch einige der verbliebenen Musiker ordentlich erkältet, was den rundherum guten Gesamteindruck jedoch keineswegs trüben konnte.
Mit „Voices of the Dead“, zu dem auch ein Video gedreht wurde, näherte sich der kurzweilige Auftritt von Molllust leider schon dem Ende entgegen. Das im Vergleich zu den zuvor gespielten Liedern etwas härtere Stück hinterließ bei mir den meisten Eindruck und gab einen kleinen Vorgeschmack darauf, wie die Band in voller Besetzung und mit elektrisierenden Gitarren wohl klingen mag. Zum Abschluss des Auftritts präsentierte die Kombo mit „Ave“ eine gelungene Hommage an den wohl bekanntesten Musiker ihrer Heimatstatt: Johann Sebastian Bach.
Um das Publikum auf den Headliner – man verzeihe mir diese flache Überleitung – einzustimmen, betrat nur wenige Minuten später der Stimmgewalt-Chor aus Berlin die Bühne. Die vier Frauen und drei Männer legten mit einem Cover von Rammsteins Lied „Engel“ stimmgewaltig los, ehe sich die Truppe mit Tom Lehrers berühmter „Irish Ballad“ auf textlicher Ebene mit dem alltäglichen Familienwahnsinn auseinandersetzte. Ein Cover von Van Canto, die bereits auf einer Tour von Stimmgewalt unterstützt wurden, durfte natürlich auch nicht fehlen und so erwies sich „The Last Night of the Kings“ als optimaler Stimmungsmacher – das erste Mal an diesem Abend klatschte das sitzende Publikum fleißig mit.
Zum Abschluss des kleinen Intermezzos folgte ein „Lied an die Liebe meines Lebens“, wie einer der Sänger verkündete: „Bier!“ Spätestens nach der Odé an Charlie Mops, den Mann der das Bier erfunden hat, hatte der Hardchor, wie sich die Truppe gerne bezeichnet, nicht nur die Lacher, sondern auch die Sympathien voll und ganz auf ihrer Seite.
Der bisherige Abend war – nicht zuletzt dank der sehr kurzen Umbaupausen von jeweils nur wenigen Minuten – wie im Flug vergangen und endlich rief der Stimmgewalt-Chor die Männer von Orphaned Land auf die Bühne.
Mit „Simple Men“ und „All Is One“ – zwei der bekanntesten Songs von Orphaned Land – zum Einstieg konnte die Band um den charismatischen Frontmann Kobi Farhi im Grunde gar nichts falsch machen. Die Stimmung war von Beginn an feierlich, es wurde mitgeklatscht und lautstark mitgesungen und so mancher Besucher hielt es nicht lange stillsitzend auf den Bänken aus, sondern tanzte lieber im Gang oder im hinteren Teil des Kirchenschiffs.
Vor „Let The Truth be known“ setzte Kobi Farhi erstmals zu einer für Orphaned Land typischen etwas ausschweifenden Ansage an. Zwar habe er die Geschichte über den sog. Weihnachtsfrieden, einer spontanen Waffenruhe zwischen deutschen und britischen Soldaten im Ersten Weltkrieg 1914, von der das Lied handelt, schon oft erzählt, aber sie berühre ihn doch immer wieder.
Im Verlauf des Konzerts entpuppte sich Kobi als unterhaltsamer Entertainer. „Ich bin froh, in einer Kirche zu spielen“, erklärte er beispielsweise nach einem Lied, „nicht nur, weil ich wie Jesus aussehe.“ Auch die Vorteile einer Akustik-Tour wusste Kobi in einer amüsanten Art und Weise aufzuzählen: „Man muss sich nicht nach jedem Auftritt duschen. Und man kann den Pyjama anlassen.“ Neben diesen durchaus nicht von der Hand zu weisenden Vorteilen, bot die Akustik-Tour aber auch die Gelegenheit, Songs zu spielen, für die sonst kein Platz auf der Setlist ist, z.B. „Bereft in the Abyss“ oder „The Evil Urge.“
Trotz der positiven Aura, die die Band zu umgeben scheint, gibt es noch viel zu tun für den Frieden in der Welt und so vergeht wohl kein Konzert von Orphaned Land, auf dem die Band nicht auf die Probleme in ihrem Heimatland Israel bzw. dem gesamten Nahen und Mittleren Osten eingeht. Vor „Brother“ erklärte Kobi etwa, worum es in diesem Lied geht. Die Band vertritt die Ansicht, dass Juden, Muslime und Christen aufgrund der gemeinsamen Abstammung der Söhne Abrahams eigentlich alle Brüder sind, doch stattdessen streiten die Religionsgemeinschaften seit jeher darüber, ob das Kind, das Abraham auf dem Berg geopfert hat, nun Isaak oder Ismael war. Kobis eindringliche Meinung dazu: „Wie können wir nur darüber streiten, wer der richtige war, es ist 4000 Jahre her, haben wir heute keine anderen Probleme?“
Ehe „New Jerusalem“ gespielt wurde, in dem die Band ihre Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben in der Stadt ausdrückt, die als eine der Wiegen der Menschheit gilt und mit der alle drei monotheistischen Weltreligionen Wichtiges verbinden, machte Kobi noch einmal deutlich: „Worüber wir singen sind keine Geschichten oder Mythen. Im Nahen Osten kämpft jeder gegen jeden.“ Dabei habe die Menschheit im Laufe der Jahrtausende so viel erreicht, den Weltraum erschlossen, Ipads gebaut, aber zu globalem Frieden scheint sie nicht in der Lage zu sein. Aussagen wie diese kamen beim bunt gemischten Publikum sehr gut an und wurden mit lautstarkem Jubel und Klatschen quittiert.
Resümierend bleibt festzuhalten: Die Christuskirche als Location stellte sich wie erwartet als idealer Ort für ein Akustikkonzert von Orphaned Land heraus. Zwar wird nicht automatisch jeder Besucher, der bei diesem denkwürdigen Abend dabei war, das Konzert als besserer Mensch verlassen haben, aber – und das ist die große Hoffnung, die Orphaned Land mit ihrer Musik seit weit über 20 Jahren zu vermitteln versuchen – gerade im Hinblick auf die aktuelle Flüchtlingsdebatte in Deutschland hat die Musik den Anwesenden zumindest aufgezeigt, dass ein friedliches Nebeneinander trotz kultureller, gesellschaftlicher und insbesondere religiöser Differenzen möglich ist. Auch wenn die schier aussichtslosen Konflikte und unzähligen Kriegsschauplätze in der Welt und im Nahen Osten im Speziellen leider oft nur sehr wenig Grund zur Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben, bleibt als Quintessenz ein immens wichtiger Gedanke, der über dem gesamten Wirken von Orphaned Land steht: All Is One. Alles ist Eins. Wir sind Eins – eine Menschheit.
Übrigens: Wer den Auftritt in Bochum verpasst hat und/oder Orphaned Land lieber im gewohnten Klang hören und sehen möchte, hat am 22. Dezember 2015 im Essener Turock Gelegenheit dazu!
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